Und HEUTE: The end of the world as we know it.

Wir schreiben den 20. Januar 2017. Ein Tag, der für mich das Ende einer Epoche einleitet und gleichzeitig, folgerichtig, den Beginn einer neuen Ära kennzeichnen muss, denn die Apokalypse, sie steht nicht bevor, dafür glaube ich zu sehr an die Menschheit, was bleibt mir auch sonst übrig.

Ich bin nämlich gern ein positiver Mensch, gehe zumeist offen und angstfrei durch die Welt, versuche, mit meinen bescheidenen Mitteln beruflich und privat einen Beitrag zu leisten und die Dinge anzupacken, ein wenig leichter und besser zu gestalten. In Unternehmen, denn gute Kommunikation kann über Erfolg oder Scheitern, Freude oder Magengeschwür, Teamspirit oder Geisterbahn entscheiden. Als Coach, um Menschen ihre Ziele und ihren Weg besser finden zu lassen. Als private Person mit Hedonismus, Humor und hoffentlich Hirn und Hilfsbereitschaft.

Aber heute morgen wachte ich nicht nur mit REM im Kopf auf, sondern auch mit dem gefühlten Wissen, dass ich mit so vielen Gewissheiten in den letzten Jahren daneben lag. Um nur ein paar zu nennen:

  • „In meiner Lebenszeit werden in meinem Heimatland keine Worte wie „Volksverräter“ öffentlich fallen; eine politische Rechte wird keine signifikante Gefolgschaft für ihre „Wir-gegen-die-Rhetorik“ gewinnen können. Das wird nie wieder gesellschaftsfähig, auch dank unserer Bewusstseins- und Erinnerungskultur.“
  • „Feminismus ist sicher nicht passé, aber ich werde niemals platte Symbole nutzen müssen, um die Selbstverständlichkeit gleicher Rechte für Männer und Frauen zu postulieren. Lila Latzhosen oder rosa Mützen (gerade rosa!) sind nicht mehr zeitgemäß.“
  • „In unserer aufgeklärten Welt wird entgegen vieler Unkenrufe tendentiell alles besser – Despoten, Muster-Mysogyne und präpubertäre Egomanen haben in der westlichen Welt keine Chance, an den Atomknopf zu kommen.“

Soweit, so falsch. Die AfD könnte im Mai bei den Landtagswahlen in NRW die SPD bei ihren Stammwählern überholen, ein revisionistischer Geschichtslehrer plädiert unter Applaus auf Täter-Opfer-Umkehr, und Frauen stricken pinke Mützen, um dem heute ins Amt eingeführten Donald Trump zu zeigen, dass er nicht ihr Präsident ist.

Pink und positiv – und das im Namen des Frauenrechte. Verrückte Welt. https://www.pussyhatproject.com

Dieser Mann war nicht meine Wahl, ich hatte keinerlei Einfluss auf die Entscheidung der Wählerinnen und Wähler in den USA und es wäre arrogant und vermessen, dieses Ergebnis bei allem Unverständnis nicht zuallererst zu respektieren. Entsprechend versuche ich, aus der Informationsflut die Neuigkeitswerte herauszufiltern, um weder wahnsinnig zu werden noch in Infotainment zu versinken (die Tweets! Rowling! Baldwin! Das Eichhörnchen-Toupet!) – aber trotzdem ist für mich klar, dass heute der Tag ist, an dem sich für mich alles ändert. Ich brauche diesen Tag als Marker. Um zu erkennen, dass sich wirklich etwas verändert hat und diese Veränderung Haltung und Handlung fordert, kein transformatorisches Grundrauschen, zu dem ich unbehaglich wegschlummern kann.

Veränderung statt Transformation: Meilensteine setzen für mehr Klarheitsdruck.

Haben wir vielleicht jahrelang in der Kommunikation große Fehler gemacht, und zwar sowohl in der politisch-öffentlichen Diskussion als auch in Unternehmen? Seit einigen Jahren redet meine Branche weniger von Veränderungskommunikation als auch von Transformation. Der Gedanke dahinter: Weg von der „Sau durchs Dorf/ kurze Beruhigung/ neue Saue durchs Dorf“-Denke, hin zu einem Mindset, das kontinuierliche Veränderung nicht nur versteht und akzeptiert, sondern quasi integriert, „umarmt“ (wie schade, dass sich das englische „to embrace“ nicht ordentlich übersetzen lässt in dem Zusammenhang). Als großer strategischer Ansatz und organisatorische Ausrichtung (Stichwort: agil) mag das stimmen – aber immer mehr zeigt sich für mich, dass wir sowohl Bürger als auch Mitarbeiter nicht mitnehmen. Entweder, die Ausgangssituation wird nicht ehrlich und gründlich analysiert oder der nötige Aufwand, Mitstreiter zu gewinnen und zu halten, weit unterschätzt. Indem wir versuchen, Menschen unseren Systemen anzupassen, produzieren wir eine zunächst stille und unorganisierte Gegnerschaft.

Angst, die lange nur nach innen wirkt: Wenn Hysteriker auf Depressive treffen.

Fritz Riemann hat in seinem wunderbar erhellenden BuchGrundformen der Angstvier Persönlichkeitstypen beschrieben, ihre Ängste, deren Ursachen und typischen Umgang damit. Da gibt es die Depressiven, die starke Bezugspersonen brauchen, die Schizoiden, die sich vor zu viel Nähe und Verbindlichkeit schützen, die Zwanghaften, die Wandel fürchten wie der Teufel das Weihwasser und die Hysterischen, denen nichts verhasster ist als Stillstand und Routine. Schon diese grobe Klassifizierung macht deutlich, dass nicht jeder in ähnlicher Weise auf Veränderungen reagieren kann. Gunther Dueck beschreibt in seinem Bücher (waren es die Feinde der Innovation?) fast slapstickartig, was passiert, wenn in Konzernen (dem natürlichen Habitat der Depressiv-Zwanghaften) die hysterischen Berater umherlaufen und „Change ist Geil!“ brüllen. Mein Tiefpunkt der Empathiebefreiung war vor einigen Wochen ein an sich sehr geschätzter Autor und Berater, der sich urlaubsgebräunt und mit sich selbst im Reinen auf Mauritius mit der Message filmte, dass heutige Industriearbeiter und Angestellte wohl ebenso aussterben würden wie das Inselmaskottchen, wenn sie sich nicht auf der Stelle und komplett zu ändern bereit seien im Zuge der Digitalisierung.

Ich vergleiche gern die Reaktionen von Menschen auf anstehende, tief greifende Veränderungen mit dem Umgang mit Tod und Trauer: Im ersten Schritt reagieren beispielsweise Mitarbeiter auf Gerüchte mit einer Art Schockstarre oder auch Leugnung. Es folgt typischerweise eine sehr emotionale Phase, in der sich Wut, Verzweiflung etc. ihren Weg bahnen. Erst nachdem sich diese Gefühle entladen konnten, ist so etwas wie eine Neuorientierung möglich – hier entscheidet sich, ob wir uns für Neues öffnen oder in der Trauer um Vergangenes Verharren. Im günstigsten Fall wird ab jetzt Neues akzeptiert und integriert und Menschen ändern dauerhaft ihr Verhalten und ihre Einstellung – anstatt kurz das „Fähnchen in den Wind zu hängen“, um möglichst schnell wieder in die alte Realität zu rutschen.

Meine Erfahrung aus Unternehmen und Organisationen zeigt, wie gern die Führung üblicherweise insbesondere den zweiten Schritt auslassen würde und den Anspruch an seine Kommunikatoren erhebt, doch bitte positiv und verständlich zu informieren, damit es möglichst flott und unkompliziert weitergehen kann. Aber: Es funktioniert nicht. Management kann und muss oft grundlegende Veränderungen beschließen, aber ohne mit den Mitarbeitern in den unbequemen „Clinch“ zu gehen, ist keine Neuorientierung möglich. Wir müssen unsere, unsere Vorbehalte, unsere Ängste äußern können und erleben, dass sie wahrgenommen werden, um unsere Position zu finden. Von wirklichem Interesse über vorsichtigem Einlassen bis hin zur Entscheidung, dass man den Weg nicht mitgehen kann, ist dabei alles drin – und alles ist besser als diffuse Opposition und stille Verweigerung. Die oft schwierige Konfrontation wird damit zur einzigen Chance auf Einigung und letzlich effizientem Arbeiten.

Gesellschaftlicher Wandel: stille Transformation oder aktive Veränderung?

Was das mit Trump, Höcke und Konsorten zu tun hat? Ich glaube, wir haben beim hyperkomplexen Projekt „gesellschaftlicher Wandel“ alle zu lange und zu gern darauf vertraut, dass sich schon irgendwie genügend hysterische Energie finden wird. Ähnlich wie bei vielen Veränderungsprozessen im Unternehmen sind die Argumente doch gut: Es geht und wirtschaftlich und gesundheitlich immer besser, Ungleichheiten („Frauen und sonstige Minderheiten“) werden geringer, in unserem Teil der Welt herrscht überwiegend schon lange Frieden, und träumen wir nicht seit der Industriealisierung von weniger körperlicher Plackerei?

Offensichtlich ist es nicht so einfach. Das Unbehagen über die Geschwindigkeit, in der sich unsere Welt in der letzten Generation geändert hat, das Unwissen über persönliche Konsequenzen schien wohl zu lange nicht-artikulierbar. Zu klein hätte der Einzelne gewirkt, zu lächerlich („natürlich finde ich es gut, dass meine Frau besser verdient als ich, aber…“). Im Stillen braute ich eine Koalition völlig Ungleicher auf, die nur die Ablehnung des Etablierten einte. Und auf einmal funktionieren alle Katalysatoren, die irgendeine Vision, und sei sie nich so rückwärtsgewand, anbot. Anders kann ich mir nicht erklären, dass Frauen einen aggressiven Sexisten wählen und Kohlekumpel, die das Wort Integration bei all den -zycks, -skis und -opolus unter ihren Kollegen gar nicht zu kennen brauchten, weil sie es einfach lebten.

Zurück an die Arbeit. Zuhören, erklären, Grenzen ziehen.

Wenn Veränderungsprozesse in Unternehmen massiv scheitern, ist das manchmal das Ende. Für unser gesellschaftliches Miteinander ist das keine Option. Nur weil ein testosterongesteuerter Egomane wie Trump unsere fragile, weil mühevoll aufgebaute Grundordnung attackiert wie ein fetter Kater den Weihnachtsbaum, können wir nicht auf den Mars umsiedeln.

In der Unternehmenskommunikation würde ich nach einem solchen Crash wahrscheinlich sagen: Schaden begutachten, Fehler eingestehen, Vertrauen und Glaubwürdigkeit mühevoll wieder aufbauen. Die Unbequemsten könnten die wichtigsten Unterstützer werden, und nicht alle werden den Weg mitgehen. In der Politik heißt es danach wohl entsprechend: Das große gesellschaftliche Transformationspaket wieder aufbrechen in verschiedene Veränderungsthemen für unterschiedliche Anspruchsgruppen. Und dann erarbeiten, was diskutabel ist und was nicht. Ob die Protestlösung mehr ist als ein geschmolltes Kreuzchen auf dem Wahlzettel ist und man wirklich mit den angebotenen Alternativen glücklicher wird als mit – ja, was denn? Einer Vision einer Gesellschaft, in der sich alle nicht nur hilflos brüllend wiederfinden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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