New Work: Menschenbild statt Masche

New Work = No Work, Arbeit oder Leben? Die Geschichte von New Work ist eine Geschichte voller Missverständnisse (Bild: Thotocase/Estherm)

Der Idee des New Work geschieht gerade das, was den meisten grundlegend neuen Konzepten früher oder später widerfährt: Sie verwässen im Sprachgebrauch, rufen (gern gefühlt mutige) Kritiker auf den Plan, werden zum Container-Begriff und schlimmstenfalls zum Teil des Business-Bullshit-Buzzword-Bingos.

Aktuell läuft eine sehr spannende Debatte zur Auslegung und auch Realitätspassung von New Work – angestoßen von Agenturchef Sachar Klein in einem Gastbeitrag in der W&V („New Work heißt nicht No Work“), aufgegriffen in einer direkten Replik von Andrea Petzenhammer (ebenfalls Agenturgewächs, „New Work heißt einfach: Paid Work Second„), und unabhängig von diesem Disput reflektiert von Lars Vollmer, dem ich – Spoiler Alert! – gedanklich am liebsten und weitesten folge („Was unserer Arbeitswelt fehlt, ist vor allem Verantwortung für die Mitarbeiter“).

Micro-Management und hinderliche Hypothesen: Wenn Führung in Wirklichkeit bremst.

Mir begegnet immer wieder die Vorstellung, dass sich Mitarbeitende bei „New Work“ innerlich die Hände reiben und von Golfplatz und Grillwurst träumen – No Work, eben. Dieser Hypothesenkoffer findet sich völlig unabhängig von Branche, Unternehmensgröße und -alter immer wieder. Protestrufe wie „ABER wir sind Dienstleister, unsere Kunden haben ein Recht auf gute Leistung…“ hört man von Start-Uppern ebenso wie aus traditionsbewusstem Mittelstand und sie sind berechtigt – bis auf das „ABER“. Denn die Vorstellung, dass mit reflektierten, individueller ausgehandelten, gerade in der Anfangszeit anstrengenderen Arbeitsmodellen der Schlendrian einkehrt, basiert auf Mindset-Komponenten wie: „Meine Leute arbeiten nur gut für mich, wenn ich sie entsprechend antreibe“. Oder: „Nur über lustlose Arbeitszeit erkauft man sich ein Recht auf Freizeit und Lebenszeit“.

Micro-Management, enge operative Führung, Kontrolle und Regelwerke wären passende Reaktionen auf dieses Denken. Nur: Warum haben wir gerade in Deutschland, der Heimat von Tariv-Verträgen, Stechuhren, Betriebsvereinbarungen und Prozess-Charts fünf Millionen Angestellte, die innerlich gekündigt haben und auch wirtschaftlich gesehehen beängstigend geringe emotionale Bindungen an Unternehmen (aktuelle Gallup-Studie, kurze Auswertung in der FAZ) vorweisen? Und warum schielen wir so gern auf die skandinavischen Länder, in denen Unternehmen offensichtlich wendiger und innovativer agieren, dabei aber voll auf Eigenverantwortung, Lust auf gestaltenden Clich und ein Verbot von Denkverboten setzen (schöner Artikel zu Tillit, Jantelagen etc. im Print/ Podcast online bei den Manager-Seminaren)?

Das Missverständnis vom Unternehmertum: Keine Verantwortung ohne Vertrauen und Klarheit.

„Wir wünschen uns, dass unsere Mitarbeiter unternehmerisch denken“ ist ein weiteres Mantra, das ich regelmäßig und – eigentlich – gern höre. EIGENTLICH deshalb, weil ich behaupte: Das tun sie, wenn ihr sie lasst. Oder auch: Das werden sie wieder tun, wenn ihr aufhört, sie durch sinnlose und kontra-produktive Prozesse und Aktionen dabei zu behindern. Denn – in unterschiedlich starker Ausprägung – starten doch die meisten mit Unternehmergeist frisch bei einem Arbeitgeber: Weil sie glauben, ihr Können und ihre Persönlichkeit gewinnbringend einsetzen zu können. Bei den 85 Prozent der emotional ungebundenen Mitarbeiter muss etwas Flöten gegangen sein.

„Unternehmer ist, wer allein oder mit anderen […] ein Unternehmen betreibt“, sagt die Wikipedia ganz profan. Das klingt nach Selbstwirksamkeit, Verantwortung, aktivem Handeln. Unternehmer erfahren und verstehen vor allem die Konsequenzen ihres Handelns, indem sie profitieren oder Sanktionen erleben. Und obwohl wohl alle, die hier mitlesen, rational die Macht intrinsischer Motivation kennen und wissen, dass extrinsische Motivatoren kaum Einfluss auf Verhalten haben, wird bei New Work genau hier zu kurz gesprungen. Auszuhandeln, wer welche Verantwortung hat und welchen Beitrag genau leistet, ist harte Arbeit und verlangt insbesondere den Führungskräften intensive Auseinandersetzungen mit ihrem eigenen Menschenbild und ihrem eigenen Handeln ab. Der „Vertrauenszuschuss“ wird nicht naiv ausgezahlt, sondern auf Basis eines gemeinsamen Verständnis: Was ist überhaupt unser Wert für den Kunden? Auf welche Ziele arbeiten wir hin? Was sind unsere Prioritäten und unsere Erwartungen aneinander? Obstkörbe und Kicker sind zunächst nur Leckerli für den dressierten Mitarbeiter – „Projekt x konnte nur gelingen, weil wir y anders gemacht haben als bisher und KollegIn z diesen Bug im Prozess benannt hat“ lenkt das Augenmerk auf individuelle Verantwortung und kollektive Lernfähigkeit.

Nur mal ein paar Szenarien zum Selberdenken: Wie sehen jeweils die Konsequenzen aus, betriebswirtschaftlich, für die Außen-/Innenbeziehung, in der Wahrnehmung und Situation der beteiligten Personen? Was gewinnt oder verliert das Unternehmen, wenn es sein Verständnis von Zusammenarbeit kompromisslos überdenkt?

 

  • Die Stadtverwaltung von Sackgassenhausen betreibt ein Großprojekt. Überstunden sind selbstverständlich tabu, in der regulären Arbeitszeit wird das Projekt aber auch zunehmend unengagiert betrieben, zumal Bürger, Dienstleister etc. zunehmend Widerstand leisten. Nachdem die offizielle Deadline ein erstes Mal gerissen wurde, ist der Spirit „kommste heut nicht, kommste morgen“.
  • Agentur Topkreativ vereinbart ein lösungsorientiertes Arbeitsmodell mit komplett eigener zeitlicher und räumlicher Einteilung. Junior-Beraterin Uschi ist Teil des Team, das in harten Pitch-Runden einen großen und aufregenden Kunden neu gewonnen hat. Eines sonnigen Mittwochs beschließt Uschi, nachmittags zum Yoga zu gehen, weil Kundin Müller sich sicher nicht mehr meldet heute. Eine Fehleinschätzung – Müller beschwert sich stinksauer beim Agenturchef und droht mit Entzug des Auftrags.
  • Mittelständischer Bettlakenproduzent Spannlake produziert seit Jahren am Markt vorbei – Kunden wünschen Allergiker-freundliche und ökologisch nachhaltige Laken, der Senior-Chef schwört seine Mitarbeiter trotz spürbarer Umsatzrückgänge weiter auf glitschigen Satin ein. Die Unternehmenskultur findet er ausbaufähig – „alle nur noch am Motzen, das ist diese Generation Y“.

Gedanken dazu? Gern!

 

New Work = No Work, entweder Arbeit oder Leben? Die Geschichte von New Work ist eine Geschichte voller Missverständnisse. (Bild: Photocase/Estherm)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert